BÜHNENSTÜCK

 

Die Uhr in drei Akten

(Barcelona, August 1968)


3 Akte

Personen:
John, Vater und Mutter
Freund, Vater mit Diener

 

1. Akt

(Im Hintergrund Gesang, Gelächter und Gläserklingen.)

John: Es war nett von deinem Vater, mich mit einzuladen.

Freund: Ja, das stimmt. Wo er doch sonst für Freude nichts übrig hat.

John: Der Wein ist gut.

Freund: Ja, das stimmt.

John: Komm, verlassen wir ein wenig die lustige Gesellschaft. Gehen wir doch zu diesem Tisch dort drüben.

Freund: Wie du willst.

(Hintergrund wird nur leiser.)

John: Hier ist endlich ein ruhiges Plätzchen. Schau, da liegt eine Uhr.

Freund: Die hat gestern auch schon da gelegen.

John: Wem gehört sie?

Freund: Ich weiß nicht.

John: Sie sieht schön aus.

Freund: Ja.

John: Wie das Metall glänzt. Es ist Gold, nicht wahr?

Freund: Ja, reines Gold.

John: Ich habe mir schon immer so eine gewünscht. Ein kostbares Ding. Wieviel kostet sie?

Freund: Oh, sehr viel. Willst du du dein Glück verlieren?

(John nimmt die Uhr, beide entfernen sich vom Tisch.)

John: Wie spät mag es sein?

Freund: Schau doch auf die Uhr.

John: Kurz vor 12 Uhr. (Vor das Licht tretend:)
Ja, jetzt sehe ich es – es ist Gold.

Freund: Leg' sie zurück, ehe es zu spät ist!

John: So eine wünsche ich mir. –
Ich werde sie zurücklegen. Wo hat sie gelegen?

Freund: Ich weiß nicht. Aber beeile dich, es schlägt gleich 12.

John: Sieh dort den Tisch – ich glaub', dort lag sie.

Freund: Schnell.

John: (Er geht langsam zum Tisch und betrachtet dabei immer wieder die Uhr. Während dessen schlägt eine Uhr dumpf zwölfmal. Beim letzten Schlag erschrickt John – mit der Uhr in der Hand. Leise fängt etwas an zu trommeln oder ticken. Der Hintergrund verstummt.) Ich wollte sie zurücklegen. Aber ich konnte nicht mehr.

Freund: Warum nicht?

John: – Ich weiß nicht.

Freund: Du bist langsam gegangen, John –so geht doch kein glücklicher Mensch.

John: Ach ... (zweifelnd, Pause, plötzlich:)

John: Hör! Was ist das?

Freund: Die Uhr in deiner Hand.

John: Wirklich?

Freund: Ich weiß nicht.

John: Leise! Ich höre Schritte.

Freund: Nein.

John: Doch! Ich höre sie! Sie kommen näher.

Freund: (von fern:) Du hast sie gestohlen, John.

John: Die Uhr? – Nein, ich will doch nur wissen, wie spät es ist. (Alles leise.)

Freund: Du hättest es nicht tun sollen.

John: Ich lege sie zurück. Ja? (bittend)

Freund: Jetzt ist es zu spät.

John: Leise, er ist jetzt ganz nah und wird sie sehen.

Freund: Versteck sie doch.

John: Ja, ist gut. (–––)

Vater (des Freundes): Sie sind fort.

John: Ich wollte es nicht.

Vater (des Freundes): Sie sind alle nach Hause gegangen. Und du?

John: Ich werde auch gehen!

Freund: Du kannst doch nicht – es ist 12 vorbei.

John: (leise) Dein Vater schaut mich so an.

Freund: (fremd) Hörst du sie nicht. Die Uhr gehörte ihm – jetzt gehört DU ihr.

John: Ach was, ich muss nach Hause.

Freund: Du hast kein Zuhause mehr.

John: Auf Wiedersehen.

Freund: Es gibt kein Wiedersehen. Es ist zu spät.

Vater (des Freundes): Zu spät?

 

2. Akt

(John läuft hastig nach Hause. Klopft gegen die Haustür. John's Vater steckt den Kopf durch's Fenster.)

Vater (von John): Zum Teufel! Warum lärmst du so? Was willst du?

John: Vater ...!

Vater (von John): Scher dich fort! Ich habe dich nie gekannt. Denkst du, ich höre sie nicht?

Mutter: (hinzukommend am Fenster) Ach, John. Warum hast du das getan? Waren wir je schlecht gewesen? Und dein Freund – er ist nicht von  hier. – Ein böses Gesindel. Oh, Wilhelm, sei nicht so hart zu ihm. Er ...

Vater (von John): Nein, er muss fort. Soll er unsere Familie ins Unglück stürzen?

Mutter: Nein. John, geh. Es ist besser so.

Vater (von John): Fort!

John: Gut, ich gehe.

(Das Fenster wird zugeschlagen. Es ist Nacht.)

John: (seufzt) Ich gehe zum Freund und bringe sie zurück.

 

3. Akt

(John klopft an die Haustür seines Freundes. Nach einer Weile wird ein Fenster aufgemacht.)

John: Haaallooo! Hee!

Diener: Was willst du?

John: Ich – ich will meinen Freund sprechen.

Diener: Er ist nicht mehr zu sprechen. Er schläft. Alles schlafen jetzt.

John: Auch sein Vater? Schläft auch er?

Diener: Nein! Er schläft nie.

John: Ich will sie hierlassen.

Diener: Es geht nicht. Du hast sie ja gestohlen. Jetzt ist es zu spät. Hörst du? Zu spät!

John: Ich kann es nicht mehr. Ich hab' sie doch nicht gestohlen. Ich will sie auch nicht mehr. Hier hast du sie! Es ist  nie zu spät!
(John wirft die Uhr von sich. Man hört es laut klirren. Das Ticken [oder Trommeln] hört auf.)
Oh, jetzt ist sie kaputt!

Diener: Ja, jetzt endgültig. Sie ging schon jahrelang nicht mehr. Jetzt ist auch das Glas entzwei!

John: Das kann nicht sein. Oh, nein, ich hab' sie doch gehört. Wir alle haben sie doch gehört. Was war denn das?

Diener: Ich sagte dir schon, ER schläft nicht.

ENDE

 

© 1968 johannes stephan wrobel - stephan castellio, Alle Rechte vorbehalten

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Mein jugendliches Bühnenstück "Die Uhr in drei Akten" (Barcelona, August 1968) verarbeitet beispielhaft das Schlagen des menschlichen Gewissens in Verbindung mit einem Diebstahl und setzt es wortkünstlerisch in Szene.

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